Urteilsanzeige ArbR,InsR

19.11.2003

BAG Az (10 AZR 110/03) Link zur Originalentscheidung

Insolvenzanfechtung bei inkonkurenter Deckung

Leitsätze:
1. Überträgt der Arbeitgeber innerhalb des letzten Monats vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über sein Vermögen seine Rechte als Versicherungsnehmer aus einer Direktversicherung auf den versicherten Arbeitnehmer, so kann der Insolvenzverwalter im Wege der Insolvenzanfechtung die Zurückgewährung zur Insolvenzmasse verlangen, wenn dem Arbeitnehmer noch keine unverfallbare Anwartschaft im Sinne des Gesetzes zur Verbesserung der betrieblichen Altersversorgung zustand.
2. Dieser Anspruch des Insolvenzverwalters unterfällt keiner tarifvertraglichen Ausschlußfrist.

Aus den Gründen:
1. Bei dem streitigen Anspruch handelt es sich um einen schuldrechtlichen Rückgewähr- oder Verschaffungsanspruch, der auf Grund der Insolvenzeröffnung als gesetzliches Schuldverhältnis entstanden ist.
Die Voraussetzungen einer wirksamen Insolvenzanfechtung gemäß §§ 129, 131 Abs. 1 Nr. 1 InsO liegen vor. Die Insolvenzschuldnerin hat am 6. April 1999 ihre Rechte als Versicherungsnehmerin aus dem Versicherungsvertrag an den Beklagten abgetreten (§§ 398 ff. BGB). Dies hat dem Beklagten eine Rechtsposition und damit eine Befriedigung iSv. § 131 Abs. 1 Nr. 1 InsO verschafft, die er zu dieser Zeit nicht zu beanspruchen hatte. Zwar hatte der Beklagte das 35. Lebensjahr vollendet, die Versicherung bestand aber weder zehn Jahre noch bestand das Arbeitsverhältnis zwölf Jahre. Deshalb hatte der Beklagte keine unverfallbare Anwartschaft nach dem Gesetz zur Verbesserung der betrieblichen Altersversorgung (§§ 1b, 30f BetrAVG). Gemäß der Vereinbarung über das Bezugsrecht hatte vielmehr bis zu der Übertragung die Insolvenzschuldnerin das Recht, alle Versicherungsleistungen aus dem Versicherungsvertrag für sich in Anspruch zu nehmen. Die Abtretung benachteiligte die Insolvenzgläubiger, weil die Insolvenzschuldnerin damit ihr Vermögen in Höhe des Rückkaufwertes der Versicherung schmälerte und der Insolvenzmasse entzog. Die Insolvenzverwalterin hat nun nicht mehr die Möglichkeit, ihrerseits die Versicherung zu kündigen und den Rückkaufwert der Insolvenzmasse zuzuführen. Die Abtretung durch die Insolvenzschuldnerin zehn Tage vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens erfüllt den Tatbestand einer inkongruenten Befriedigung gemäß § 131 Abs. 1 Nr. 1 InsO, 2059). Eine solche Rechtshandlung kann ohne weitere Voraussetzungen angefochten werden. Es kommt dabei weder darauf an, ob die Insolvenzschuldnerin am 6. April 1999 zahlungsunfähig oder überschuldet war, noch darauf, ob der Beklagte hiervon Kenntnis hatte oder nicht. Der Beklagte war deshalb gemäß § 143 Abs. 1 InsO verpflichtet, die erworbenen Forderungen aus dem Versicherungsvertrag rückabzutreten. Nunmehr hat er gemäß § 143 Abs. 1 InsO, § 819 Abs. 1, § 818 BGB in Höhe des Rückkaufwertes Wertersatz zu leisten.

Die §§ 129 ff. InsO begründen demgegenüber ein gesetzliches Schuldverhältnis ohne jede Rücksicht auf ein in der Insolvenz fortbestehendes Arbeitsverhältnis oder ein früheres Arbeitsverhältnis zum Insolvenzschuldner. Insoweit wird, soweit ersichtlich ohne Gegenstimmen, in der Literatur die Anwendbarkeit tariflicher Ausschlußfristen verneint. Dem schließt sich der Senat an, denn ein derartiges gesetzliches Schuldverhältnis steht außerhalb der Regelungsmacht der Tarifvertragsparteien. Dies steht im Einklang mit der Rechtsprechung des Ersten Senats des Bundesarbeitsgerichts, der in seinem Urteil vom 18. Dezember 1984 (- 1 AZR 588/82 - BAGE 47, 343, 348 ff.) die Anwendbarkeit tarifvertraglicher Ausschlußfristen auf die Geltendmachung von Konkursforderungen durch die Arbeitnehmer verneint hat. Dazu kommt, daß die Vorgängervorschriften von § 146 InsO, nämlich § 41 Abs. 1 KO und § 10 Abs. 2 GesO, als Ausschlußfristen ausgestaltet waren. Als solche gingen sie tariflichen Ausschlußfristen vor. Es gibt keinerlei Anhaltspunkte dafür, daß der Gesetzgeber daran etwas ändern wollte, indem er mit § 146 InsO zu einer Verjährungsfrist überging. Soweit sich der Beklagte demgegenüber auf das Urteil des Achten Senats des Bundesarbeitsgerichts vom 10. Oktober 2002 (- 8 AZR 8/02 -) beruft, ist dies nicht geeignet, ein abweichendes Ergebnis zu begründen, weil dieses Urteil sich nicht auf gesetzliche Schuldverhältnisse bezieht, die die Insolvenzordnung zwischen Gläubigern und dem Insolvenzverwalter normiert, ohne daß der Insolvenzverwalter gerade auch in seiner Arbeitgeberfunktion und die Gläubiger gerade auch als Arbeitnehmer Normadressaten sind

Anmerkung:

 


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