Urteilsanzeige InsR

22.01.2004

BGH Az (IX ZR 39/03) Link zur Originalentscheidung

Gläubigerbenachteiligung bei Abführung von LohnSteuer in der Insolvenz

Leitsätze
1) Die Rechtshandlung der Pfändung der Ansprüche des Schuldners gegen das Kreditinstitut aus einem vereinbarten Dispositionskredit ("offene Kreditlinie") gilt als vorgenommen, sobald und soweit der Schuldner den ihm zur Verfügung stehenden Kreditbetrag abgerufen hat.
2) Die Abführung von Lohnsteuer an das Finanzamt wirkt in der Insolvenz des Arbeitgebers regelmäßig gläubigerbenachteiligend.
3) Stirbt der Schuldner nach Eingang des Insolvenzantrags, bleibt dieser Antrag maßgeblich für die Entscheidung über die Eröffnung des Nachlaßinsolvenzverfahrens.

Aus den Gründen:
1. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist eine während der "kritischen" Zeit im Wege der Zwangsvollstreckung erlangte Sicherung oder Befriedigung als inkongruent anzusehen (BGHZ 136, 309, 311 ff; BGHZ 128, 196 ff). Das die Einzelzwangsvollstreckung beherrschende Prioritätsprinzip wird durch das System der insolvenzrechtlichen Anfechtungsregeln eingeschränkt, wenn für die Gesamtheit der Gläubiger nicht mehr die Aussicht besteht, aus dem Vermögen des Schuldners volle Deckung zu erhalten. Dann tritt die Befugnis des Gläubigers, sich mit Hilfe hoheitlicher Zwangsmittel eine rechtsbeständige Sicherung oder Befriedigung der eigenen fälligen Forderungen zu verschaffen, hinter dem Schutz der Gläubigergesamtheit zurück. Diese schon im bisherigen Recht angelegte Ordnung ist durch § 131 InsO zeitlich deutlich nach vorn verlagert worden. Die Vorschrift verdrängt in den letzten drei Monaten vor dem Eröffnungsantrag den Prioritätsgrundsatz zugunsten der Gleichbehandlung der Gläubiger.
Daher begründet ein erst während des Drei-Monats-Zeitraums vor dem Eröffnungsantrag wirksam gewordenes Pfandrecht in der Insolvenz kein anfechtungsfestes Absonderungsrecht nach § 50 Abs. 1 InsO, wenn der Schuldner zur Zeit der Rechtshandlung zahlungsunfähig war (§ 131 Abs. 1 Nr. 2 InsO). Sofern das Pfandrecht dagegen vorher entstanden und auch aus sonstigen Gründen nicht anfechtbar ist, kann die anschließende Befriedigung durch Zahlung nicht mehr angefochten werden, weil sie die Gläubiger nicht benachteiligt.

Maßgebend für den Beginn des von § 131 InsO erfaßten Drei-Monats- Zeitraums ist der am 19. Februar 1999 eingegangene Insolvenzantrag, der zur Eröffnung des Verfahrens geführt hat.

Der früher gestellte, wirksam für erledigt erklärte Antrag ist rechtlich bedeutungslos, weil ein erledigter Antrag nicht mehr zur Verfahrenseröffnung führen und damit keine Insolvenzanfechtung ermöglichen kann.

Vor dem Abruf des Kontoinhabers ist kein Anspruch auf Auszahlung gegen die Bank vorhanden, der einem Abtretungs- oder Pfändungsgläubiger das Recht geben könnte, sich ohne Mitwirkung des Kontoinhabers Kreditmittel auszahlen zu lassen. Ob ein entsprechender Anspruch begründet wird, hängt allein von der persönlichen Entscheidung des Schuldners als Kunde des Kreditinstituts ab. Diese Befugnis kann der Gläubiger nicht durch Pfändung des Abrufrechts auf sich übertragen und den Schuldner so zur Begründung einer neuen Verbindlichkeit zwingen.

Zwar begründet dieser Umstand kein Hindernis für eine wirksame Pfändung, wenn, wie im Falle des
Krediteröffnungsvertrages, schon eine Rechtsbeziehung zwischen Schuldner und Drittschuldner besteht, aus der die spätere Forderung nach ihrem Inhalt und der Person des Drittschuldners bestimmt werden kann. Solange der Schuldner jedoch keine Verfügung über den ihm eingeräumten
Kredit vornimmt, hat die Pfändung für den Gläubiger keinen realisierbaren Wert. Unterläßt der Schuldner zwischen der Zustellung der Pfändung an den Drittschuldner und der Eröffnung des Insolvenzverfahrens den Abruf, steht dem Gläubiger aus der Rechtshandlung ein wirtschaftlich verwertbares Recht nicht zur Verfügung. Anders als bei bedingten und befristeten Rechtshandlungen
fehlt es dann an einem in der Insolvenz zu beachtenden Anspruch.
Der Kontokorrentvertrag - und folglich auch das Abrufrecht des Schuldners - endet gemäß §§ 116 Satz 1, 115 Abs. 1 InsO mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens, sofern er bis dahin noch nicht gekündigt worden ist.

Selbst wenn man annehmen wollte, der Insolvenzverwalter könne gemäß § 103 InsO die Fortsetzung des Vertrages verlangen, so würden aus dessen Verfügungen nur Masseansprüche entstehen, auf die der Pfändungsgläubiger nicht zugreifen könnte.

Folglich hat der Beklagte außerhalb des von § 131 InsO geschützten Zeitraums ein Pfandrecht nur erworben, soweit der Kredit in dieser Zeit nicht ausgeschöpft war und der Schuldner ihn durch eine ihm zuzurechnende Verfügung in Anspruch genommen hat.

Anmerkung:

 


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