Urteilsanzeige InsR

18.12.2003

BGH Az (IX ZR 199/02) Link zur Originalentscheidung

Insolvenzanfechtung zur Abwendung eines angedrohten Inolvenzverfahrens

Leitsätze:
a) Leistet der Schuldner zur Abwendung eines angekündigten Insolvenzantrags, den der Gläubiger zur Durchsetzung seiner Forderung angedroht hat, bewirkt dies eine inkongruente Deckung.
b) Der für eine Inkongruenz notwendige zeitliche Zusammenhang zwischen der Drohung mit einem Insolvenzantrag und der Leistung des Schuldners endet je nach Lage des Einzelfalls nicht mit Ablauf der von dem Gläubiger mit der Androhung gesetzten Zahlungsfrist. Rückt der Gläubiger von der Drohung mit dem Insolvenzantrag nicht ab und verlangt er von dem Schuldner fortlaufend Zahlung, kann der Leistungsdruck über mehrere Monate fortbestehen.
c) Die durch die Androhung eines Insolvenzantrags bewirkte inkongruente Deckung bildet auch bei Anfechtungen nach § 133 Abs. 1 InsO in der Regel ein starkes Beweisanzeichen für einen Gläubigerbenachteiligungsvorsatz des Schuldners und eine Kenntnis des Gläubigers hiervon.
d) Ist dem Gläubiger eine finanziell beengte Lage des Schuldners bekannt, kann die Inkongruenz einer Deckung auch im Rahmen von § 131 Abs. 1 Nr. 3 InsO ein nach § 286 ZPO zu würdigendes Beweisanzeichen für die Kenntnis von einer Gläubigerbenachteiligung sein.

Aus dem Tatbestand:
Mit Schreiben vom 15. März 1999 wies sie (die Krankenkasse)auf rückständige Beiträge für die Monate Dezember 1998 und Januar sowie Februar 1999 in Höhe von insgesamt 15.479,95 DM hin und führte aus: Haftungsrechtliche Regelungenzwängen die Krankenkassen, umgehend den Insolvenzantrag zu stellen, wenn die Beiträge für zwei Monate unbeglichen seien. Nicht einziehbare Beitragsforderungen würden den Krankenkassen aus Mitteln der Insolvenzausfallversicherung durch die Arbeitsämter erstattet, allerdings nur für die vor der Insolvenzeröffnung liegenden drei Monate. Wegen der verfahrensrechtlichen Fristen vergingen vom Tage der Insolvenzantragstellung bis zur gerichtlichen Verfahrenseröffnung jedenfalls mehrere Wochen. Die Krankenkassen seien daher gehalten, Insolvenzanträge bereits vor Ablauf der Drei-Monats-Frist zu stellen, spätestens, wenn zwei Monatsbeiträge rückständig seien. In Anbetracht dieser Umstände sehe sie, die Beklagte, sich gezwungen, am 24. März 1999 gegen 14.00 Uhr den Insolvenzantrag beim zuständigen Amtsgericht abzugeben, würde sich aber sehr freuen, wenn es der Schuldnerin gelänge, durch vorherige
Zahlung des Beitragsrückstands den Insolvenzantrag abzuwenden.

Die nächste Ankündigung eines Insolvenzantrags erfolgte mit Schreiben vom 17. Mai 1999 wegen Rückständen für März und April 1999 in Höhe von 20.297,71 DM mit Frist bis zum 26. Mai 1999 gegen 14.00 Uhr.

Der dritte Insolvenzantrag wurde in ähnlicher Weise mit Schreiben vom 13. September 1999 angekündigt wegen Beitragsrückständen für Juni und Juli 1999 in Höhe von 10.775,99 DM. Zugleich
wurde auf die am 15. September 1999 fällig werdenden Beiträge von 9.397,64 DM verwiesen und die Schuldnerin aufgefordert, die rückständigen Beiträge sofort und unbedingt binnen einer Woche zu zahlen, andernfalls unverzüglich ein Insolvenzantrag beim Amtsgericht abgegeben werde.

Aus den Gründen:
Den mit einem frühzeitigen Insolvenzantrag verfolgten Zielen läuft es zuwider, den Antrag zur Durchsetzung von Ansprüchen eines einzelnen Gläubigers zu benutzen. Wer den Insolvenzantrag dazu mißbraucht, erhält eine Leistung, die ihm nach Sinn und Zweck der gesetzlichen Regelung auf diesem
Wege nicht zukommen soll. Die so erlangte Deckung ist deshalb inkongruent.
Der Gläubiger, der den Insolvenzantrag gestellt hat, hat in der Regel kein rechtlichgeschütztes Interesse, Zahlungen des Schuldners als Erfüllung anzunehmen. Derartige Zahlungen führen typischerweise dazu, daß in einem später doch noch eröffneten Insolvenzverfahren der Gläubigergesamtheit eine deutlich verringerte Masse zur Verfügung steht. Es kommt deshalb nicht darauf an, welche Absicht der Gläubiger im Einzelfall mit der Antragstellung verbindet. Alle dadurch bewirkten Leistungen sind inkongruent, weil sie weder dem Inhalt des Schuldverhältnisses entsprechen noch mit Zwangsmitteln erlangt worden sind, die - wie die Maßnahmen der Einzelzwangsvollstreckung - dem einzelnen Gläubiger zur Durchsetzung seiner Ansprüche vom Gesetz zur Verfügung gestellt werden. Die Rechtsfolge der Inkongruenz trifft daher Gläubiger, die auf solche Weise Befriedigung erlangen, grundsätzlich unabhängig davon, ob sie wiederholt und gezielt so vorgehen oder zum ersten Mal einen Insolvenzantrag gestellt haben. Im Gegensatz zu
einer im Wege der Einzelzwangsvollstreckung oder zu deren Abwendung erlangten Deckung, die nur dann inkongruent ist, wenn die Rechtshandlung im Zeitraum der gesetzlichen Krise vorgenommen wurde, ist die aufgrund eines Insolvenzantrags erzielte Deckung stets inkongruent.

Denn der Insolvenzantrag ist niemals ein geeignetes Mittel, um Ansprüche außerhalb eines Insolvenzverfahrens durchzusetzen.

Entsprechendes gilt, wenn der Insolvenzantrag - wie im Streitfall - nicht gestellt, sondern nur angedroht ist. Die Androhung kann bei dem Schuldner eine ähnliche - eher noch stärkere - Drucksituation erzeugen wie ein in Aussicht gestellter Akt der Einzelzwangsvollstreckung. Wer die Ankündung eines Insolvenzantrags anstelle der gesetzlich vorgesehenen Zwangsvollstrekkungsmaßnahmen
einsetzt, kann anfechtungsrechtlich keinesfalls besser stehen, wenn er auf diese Weise Zahlung erhält.

Wo bei der mit einem angekündigten Insolvenzantrag zusammenhängenden Zahlungsaufforderung die Grenze zwischen einer unbedenklichen Mahnung und einer die Inkongruenz begründenden Drohung verläuft, bedarf im Streitfall keiner Entscheidung. Denn die Beklagte sann der Schuldnerin, die sich bereits in finanzieller Bedrängnis befand, nach dem Inhalt der übermittelten Mahnschreiben ein Verhalten an, welches auf die eigene Bevorzugung auf Kosten der übrigen Gläubiger hinauslief und damit dem Grundsatz der gleichmäßigen Befriedigung aller Gläubiger widersprach.

Kenntnis der Gläubigerbenachteiligung im Sinne des § 131 Abs. 1 Nr. 3 InsO hat der Gläubiger, der weiß, daß der Schuldner wegen seiner finanziell beengten Lage in absehbarer Zeit nicht mehr fähig ist, sämtliche Insolvenzgläubiger zu befriedigen.

Für § 131 Abs. 1 Nr. 3 InsO folgt daraus, daß der Inkongruenz dann ein gemäß § 286 ZPO zu berücksichtigendes Beweisanzeichen für eine Kenntnis des Anfechtungsgegners von einer Gläubigerbenachteiligung zu entnehmen sein kann, wenn er - was vom Insolvenzverwalter zu beweisen ist - bei Vornahme der Handlung wußte, daß sich der Schuldner in einer finanziell beengten
Lage befand. Wollte man die Indizwirkung einer inkongruenten Deckung im Rahmen von § 131 Abs. 1 Nr. 3 InsO gänzlich vernachlässigen, führte dies dazu, daß eine innerhalb von drei Monaten vor dem Eröffnungsantrag erfolgte inkongruente Deckung nach § 133 Abs. 1 InsO leichter anfechtbar wäre als nach § 131 Abs. 1 Nr. 3 InsO. Ein derartiger Wille kann dem Gesetzgeber nicht unterstellt werden.

(4) Die Bedeutung der Inkongruenz als Beweiszeichen hängt von deren Art und Ausmaß ab. Wer - wie im Streitfall die Innungskrankenkasse - über Monate hinweg nur unvollständige Zahlungen erhält und sich sogar mehrmals veranlaßt sieht, mit Nachdruck Insolvenzanträge anzudrohen, kennt im allgemeinen Umstände, die zwingend auf die Benachteiligung schließen lassen (§ 131 Abs. 2 Satz 1 InsO). Dies trifft in besonderem Maße auf einen Gläubiger zu, dessen Außenstände beim Schuldner trotz der entfalteten vielfältigen Beitreibungsmaßnahmen nicht zurückgehen, möglicherweise sogar noch ansteigen. In einem solchen Fall ist es Sache des Gläubigers, Tatsachen vorzutragen und gegebenenfalls zu beweisen, welche die Kenntnis von derartigen Umständen ernsthaft in Frage stellen.

Anmerkung:

Pech gehabt, liebe Krankenkasse.
Die Entscheidung dürfte einige Auswirkungen auf die bisher gängige Praxis der Kassen und Finanzämter haben, durch die unverholene Drohung mit dem Insolvenzverfahren Zahlungen an sich selbst (und zu Lasten von Drittgläubigern) zu bewirken.

 


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