Urteilsanzeige GmbH,InsR

23.02.2004

BGH Az (II ZR 207/01) Link zur Originalentscheidung

Gesellschafterhaftung wg. Eigenkapitalersatz/ Überschuldung und Fortführungsprognose

Leitsätze:
a) Im Rahmen der Ermittlung der Überschuldung i.S.d. Eigenkapitalersatzregeln nach dem bis zum Inkrafttreten der Insolvenzordnung geltenden zweistufigen Überschuldungsbegriff kann eine positive Fortbestehensprognose nicht auf einseitige Sanierungsbemühungen der Gesellschaft und ein von ihr entworfenes Sanierungskonzept gestützt werden, wenn dessen Umsetzung vom Einverständnis eines Gläubigers abhängt und dieser seine Zustimmung verweigert hat.

b) Eine bereits seit längerem bestehende, ansteigende rechnerische Überschuldung einer GmbH ist auch für die Beurteilung ihrer Kredit(un)würdigkeit durch einen wirtschaftlich denkenden außenstehenden Kreditgeber von wesentlicher Bedeutung.

c) Beschränken sich die von den Gesellschaftern für einen Bankkredit der GmbH als selbständige Nebenbürgschaften übernommenen eigenkapitalersetzenden Höchstbetragsbürgschaften jeweils auf einen Teil der Kreditsumme, so sind die Gesellschafter im Falle teilweiser Darlehenstilgung durch die
GmbH dieser nur insoweit zur Erstattung verpflichtet, als der jeweilige Erstattungsbetrag zusammen mit dem Betrag, für den sie der Bank weiter verhaftet bleiben, die jeweilige Bürgschaftssumme nicht übersteigt.

Aus den Gründen:

Durchgreifenden rechtlichen Bedenken begegnet indessen die Verneinung der vom Kläger für spätestens Anfang Februar 1998 im Zusammenhang mit der Beantragung des einstweiligen Verfügungsverfahrens durch M. behaupteten negativen Fortbestehensprognose für die Gemeinschuldnerin. Soweit das Berufungsgericht seine gegenteilige positive Prognose bis
Anfang März 1998 auf ein angeblich erfolgversprechendes Sanierungskonzept der Gemeinschuldnerin stützt, fehlt es dafür bereits an einer tragfähigen Grundlage. Angesichts der kontinuierlich rückläufigen Verkaufszahlen und der schon bestehenden beträchtlichen wirtschaftlichen "Schieflage" des Unternehmens war allein mit den vom Berufungsgericht in den Vordergrund gestellten
Kosteneinsparungen durch die Betriebsverlegung und das Ausscheiden der Beklagten als Geschäftsführer eine Sanierung der Gemeinschuldnerin ersichtlich nicht einmal mittelfristig - d.h. hier maximal bis zu der Vertragsbeendigung aufgrund der Kündigung zum 30. September 1999 - zu erreichen. Abgesehen davon, daß das - nicht sachverständig beratene - Berufungsgericht die angeblichen Kosteneinsparungen nicht - für das Revisionsgericht nachprüfbar - beziffert
hat, hat es die für die Gesamtbeurteilung der Kostenfaktoren ebenfalls bedeutsamen, mit der Betriebsverlagerung und der Einsetzung eines Fremdgeschäftsführers zwangsläufig neu entstehenden Kosten außer Betracht gelassen; das gilt insbesondere hinsichtlich der zweifellos erheblichen Kosten für das auf dem neuen Betriebsgelände nicht vorhandene und daher erst noch zu errichtende
Verkaufs- und Ausstellungsgebäude. Das erhebliche Überschüsse als "erwarteten Planwert" ausweisende Konzept des Wirtschaftsprüfers Sch. durfte das Berufungsgericht als bestrittenen Parteivortrag der Beklagten nicht zur Grundlage seiner Entscheidung machen. Ohnehin handelte es sich angesichts der kontinuierlichen negativen Entwicklung der Gemeinschuldnerin erkennbar
um "geschönte", weil viel zu optimistische Zahlen; das Berufungsgericht hat übersehen, daß diese Zahlen in unüberbrückbarem Gegensatz zu der kurz danach erfolgten Einschätzung desselben Wirtschaftsprüfers stehen, der nunmehr angesichts des von ihm so bezeichneten "dramatischen Verlustes" per 31. Dezember 1997 und der weiteren "Unwägbarkeiten" der Gemeinschuldnerin
den Gang zum Konkursrichter empfahl. Danach ist es auch unerheblich, daß ein betriebswirtschaftlicher Berater der M. Mitte Januar 1998 - offensichtlich unter dem Eindruck der Planrechnungen des Wirtschaftsprüfers Sch. und in Unkenntnis des vorläufigen Abschlusses zum 31. Dezember 1997 - ebenfalls von einem - wenn auch geringeren - "erwarteten Überschuß" für 1998 ausging.
Hinzu kommt, daß das sogenannte Sanierungskonzept der Gemeinschuldnerin - wie auch das Berufungsgericht im Ansatz nicht verkennt - von der Mitwirkung der M. abhing. Indessen beruht die Annahme des Berufungsgerichts, Verhandlungen über die Zustimmung der M. zur Betriebsverlagerung seien nicht vor Ende Februar 1998 gescheitert, auf verfahrensfehlerhafter Nichtberücksichtigung
erheblichen Prozeßstoffs. Nach dem unter Beweis gestellten Vortrag des Klägers hat die M., die letztlich unstreitig mit dem Konzept auch nicht einverstanden war, zu keiner Zeit den Eindruck erweckt, sie billige die Betriebsverlagerung und die darauf aufbauenden bloßen Planzahlen des
Wirtschaftsprüfers. Objektiv war durch die Einleitung des einstweiligen Verfügungsverfahrens spätestens zu diesem Zeitpunkt eine etwaige Bemühung der Gemeinschuldnerin um einverständliche Verlagerung des Betriebes und damit auch die vage Hoffnung auf eine Sanierung gescheitert. Die vom Berufungsgericht angestellten Überlegungen zu mutmaßlichen "eigenen" Interessen der
M. an der Weiterführung des Betriebes auf dem neuen Grundstück - trotz des eingeleiteten Rechtsstreits - sind spekulativ; anstatt aus solchen ungesicherten Mutmaßungen seine Überzeugung abzuleiten, das einstweilige Verfügungsverfahren habe noch nicht das Ende der Sanierungschancen markiert, hätte es zumindest die vom Kläger für das Gegenteil benannten Vertreter der
M. als Zeugen vernehmen müssen.
...
Von Rechtsirrtum beeinflußt sind schließlich auch die Hilfserwägungen des Berufungsgerichts zur Erkennbarkeit der Krisensituation für die Beklagten im Falle des objektiven Eintritts der Überschuldung bzw. Kreditunwürdigkeit bereits im Zeitpunkt des Antrags auf Erlaß einer einstweiligen Verfügung am 5. Februar 1998. Seine Annahme, die Beklagten hätten die Krisensituation nicht sogleich, sondern erst Anfang März 1998 anläßlich der Information durch das
Schreiben des Wirtschaftsprüfers Sch. erkennen können, läßt offensichtlich die ständige Senatsrechtsprechung zum subjektiven Kriterium der Erkennbarkeit der Krise für den Gesellschafter außer acht. Danach dürfen an die Möglichkeit, die Krise wenigstens erkennen zu können, keine hohen
Anforderungen gestellt werden, vielmehr ist die Erkennbarkeit prinzipiell als gegeben anzusehen: Die grundsätzliche Verantwortlichkeit für eine seriöse Finanzierung der im Rechtsverkehr auftretenden GmbH folgt schon allein aus der Stellung eines Gesellschafters; um dieser Verantwortung gerecht zu werden, muß der Gesellschafter von sich aus sicherstellen, daß er laufend zuverlässig über die wirtschaftliche Lage der Gesellschaft, insbesondere den eventuellen Eintritt der Krise, informiert ist. Deshalb ist - von besonderen, hier nicht vorliegenden, Ausnahmefällen abgesehen - anzunehmen, daß der Gesellschafter die wirtschaftlichen Umstände, welche die Umqualifizierung seiner Hilfe in funktionales Eigenkapital begründen, gekannt hat oder jedenfalls hätte kennen können. So liegt es hier. Nachdem die Beklagten selbst "aus wirtschaftlichen Gründen"
das Vertragsverhältnis mit M. gekündigt und eine Vertragsaufhebung schon zum 31. Dezember 1997 erbeten hatten, sie ferner selbst auch das Mietverhältnis mit der Gemeinschuldnerin über das Betriebsgrundstück wegen der erheblichen Mietrückstände fristlos gekündigt hatten, war ihnen die prekäre wirtschaftliche Situation der Gemeinschuldnerin offensichtlich seit längerem bekannt; daher hätten sie sich schon damals ständig über die weitere Entwicklung aufgrund aktueller Zahlen (Quartals-, Monatsübersichten) auf dem laufenden halten müssen und nicht etwa die Erstellung der vorläufigen Jahresbilanz ihres Wirtschaftsprüfers Anfang März 1998 abwarten dürfen. Das Scheitern der "Sanierungsbemühungen" durch die Ablehnung der Betriebsverlagerung seitens der M. war spätestens aufgrund der Einleitung des einstweiligen Verfügungsverfahrens erkennbar und hätte ohne weiteres Zuwarten zur Stellung des Konkursantrages oder der Ausübung der Rechte aus § 775 Abs. 1 Nr. 1 BGB zur Vermeidung der Umqualifizierung ihrer "stehen gelassenen" Bürgschaften in Eigenkapitalersatz Veranlassung geben müssen.

Anmerkung:

Diese Entscheidung dürfte von allgemeiner Relevanz für doch häufig gestellte Frage nach der Isnolvenzantragspflicht und die Anforderungen an Gesellschafterhandeln in der Krise sein.
Überaus deutliche Worte werden allerdings über die "geschönten" Zahlen des Wirtschaftsprüfers gesprochen. Hierauf konnten sich die Gesellschafter nämlich nicht berufen. Eine andere Frage ist wohl die, ob der so gescholtene Wirtschaftsprüfer nicht auch für seine Werke haftet. Diese stellt sich vermutlich dann, wenn der Kläger (=Insolvenzverwalter) wegen einer zwischenzeitlichen Insolvenz der Beklagten ausfällt.

 


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