Urteilsanzeige InsR,GesR

05.04.2006

BGH Az (IV AR(VZ) 1/06) Link zur Originalentscheidung

Anspruch auf Einsicht in Insolvenzakten

Auch nach Abweisung des Antrags auf Insolvenzeröffnung mangels Masse besteht für einen Gläubiger der Insolvenzschuldnerin das rechtliche Interesse im Sinne der §§ 4 InsO, 299 Abs. 2 ZPO an der Einsicht in die Insolvenzakten fort. Dieses rechtliche Interesse entfällt nicht dadurch, dass der Gläubiger die Akteneinsicht begehrt, um festzustellen, ob ihm Durchgriffs- und Schadensersatzansprüche gegen Dritte, insbesondere Geschäftsführer oder Gesellschafter der Schuldnerin, zustehen. (Leitsatz BGH)

Aus den Gründen:
I. Der Antragsteller begehrt Einsicht in die Akten des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der J. & N. GmbH (im Folgenden: Schuldnerin). Deren Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens hat das Amtsgericht Chemnitz im Oktober 2002 mangels Masse abgelehnt.

1. Der Antragsteller behauptet unter Vorlage eines Subunternehmervertrages und seiner Schlussrechnung vom 14. Mai 2002, er habe gegen die Schuldnerin wegen der Gestaltung einer Außenanlage noch offene, nicht titulierte Forderungen in Höhe von insgesamt 24.455,81 €. Sein Akteneinsichtsgesuch hat er darauf gestützt, er wolle prüfen, ob er den Geschäftsführer der Schuldnerin auf Schadensersatz in Anspruch nehmen könne. Letzterer hat namens der Schuldnerin der Akteneinsicht widersprochen. Mit dem angefochtenen Bescheid hat der Antragsgegner den Antrag auf Akteneinsicht zurückgewiesen, weil das dafür nach den §§ 4 InsO, 299 Abs. 2 ZPO erforderliche rechtliche Interesse für einen nicht am Insolvenzverfahren beteiligten Dritten wie den Antragsteller dann nicht bestehe, wenn er lediglich die Prüfung möglicher Durchgriffs- und Schadensersatzansprüche gegen Organe der Schuldnerin bezwecke. In diesem Falle werde lediglich ein wirtschaftliches Interesse verfolgt, das mit dem Gegenstand des Insolvenzverfahrens rechtlich nicht verbunden sei.

Der Antragsgegner hat zu Unrecht das nach den §§ 4 InsO, 299 Abs. 2 ZPO erforderliche rechtliche Interesse verneint und deshalb die ihm nach den genannten Vorschriften eröffnete Ermessensprüfung unterlassen. Sie ist nunmehr nachzuholen und setzt insbesondere voraus, dass der Schuldnerin zunächst im Rahmen des Möglichen und Zumutbaren Gelegenheit gegeben wird, ihr Geheimhaltungsinteresse geltend zu machen. Da dies bisher nicht geschehen ist, kam eine abschließende Sachentscheidung durch den Senat nicht in Betracht.

Der Antragsteller hat, wie das Oberlandesgericht näher dargelegt hat, ausreichend glaubhaft gemacht, dass er Gläubiger der Schuldnerin ist. Schon daraus folgt ein ausreichendes rechtliches Interesse an der Akteneinsicht im Sinne von § 299 Abs. 2 ZPO i.V. mit § 4 InsO.

Dieses rechtliche Interesse des Gläubigers entfällt nicht deshalb, weil er, wie der Antragsteller, mit seinem Akteneinsichtsgesuch - möglicherweise sogar vorrangig - das Ziel verfolgt, festzustellen, ob ihm Durchgriffs- und Schadensersatzansprüche gegen Geschäftsführer oder Gesellschafter der Schuldnerin zustehen, etwa wegen Verletzung der Pflicht, rechtzeitig den Insolvenzantrag zu stellen.

Anders als das Brandenburgische Oberlandesgericht und die Oberlandesgerichte Celle und Köln offenbar annehmen, lässt sich das Gläubigerinteresse nicht aufspalten in ein rechtliches Interesse im Sinne des § 299 Abs. 2 ZPO an der Feststellung, ob noch Vermögen bei der Schuldnerin vorhanden ist und ein - von § 299 Abs. 2 ZPO nicht geschütztes - rein wirtschaftliches Interesse an der Prüfung der Erfolgsaussichten von Schadensersatzansprüchen gegen Dritte, insbesondere Organe der Schuldnerin.

Vielmehr stehen solche Schadensersatzansprüche meist in einem rechtlich untrennbaren Zusammenhang mit der zugrunde liegenden Forderung des Gläubigers.
Das zeigt gerade der vorliegende Fall. Der Antragsteller hat sich gegenüber dem Antragsgegner auf seine Gläubigerstellung berufen und angegeben, er ziehe in Erwägung, wegen seines erheblichen Forderungsausfalls Schadensersatzansprüche gegen die Geschäftsführer der Schuldnerin zu erheben.

Grundlegende Voraussetzung solcher Schadensersatzansprüche ist, dass der Antragsteller einen Schaden erlitten hat. Ein solcher scheidet aber aus, soweit der Antragsteller seine Forderung noch beitreiben kann. Daran zeigt sich, dass auch insoweit die Frage der Vermögenslage der Schuldnerin im Mittelpunkt des Interesses des Antragstellers steht. Angesichts dessen vermag sich der Senat in Übereinstimmung mit dem vorlegenden Oberlandesgericht der Wertung nicht anzuschließen, der Gläubiger verfolge, wenn er die Akteneinsicht lediglich mit Blick auf solche Schadensersatzansprüche begehre, ein ausschließlich wirtschaftliches, gemessen am Zweck des Insolvenzverfahrens sachwidriges Interesse. Die Gegenmeinung verkennt, dass das Insolvenzverfahren gerade auch dem Zweck dient, den Gläubiger vor Schäden im Zusammenhang mit dem Ausfall von Forderungen, die ihm gegen die Schuldnerin zustehen, zu schützen, solche Schäden jedenfalls mindern. Schon deshalb besteht auch ein rechtlicher Zusammenhang - und in Bezug darauf auch ein von § 299 Abs. 2 ZPO geschütztes rechtliches Interesse - zwischen der zugrunde liegenden Forderung eines Insolvenzgläubigers und dem Schadensersatzanspruch, den er bei Forderungsausfall erheben will.

Dass ein Gläubiger durch Einsicht in die Insolvenzakte sowohl Informationen über die Schuldnerin als auch über sonstige Dritte gewinnen kann, ist, hinzunehmen, weil anderenfalls dem schutzwürdigen rechtlichen Interesse des Gläubigers im Verhältnis zum Schuldner nicht entsprochen und der Gläubiger dadurch im Verhältnis zu diesem in seinem Recht auf Akteneinsicht verletzt würde. Soweit das Brandenburgische Oberlandesgericht aus den weit reichenden (und selbst strafprozessuale Aussageverweigerungsrechte nicht berücksichtigenden) Auskunfts- und Mitwirkungspflichten des Schuldners und seiner Organe nach § 97 Abs. 1 InsO ein besonderes Geheimhaltungsinteresse ableitet, muss sich der Antragsteller als Gläubiger der Schuldnerin dies schon deshalb nicht entgegenhalten lassen, weil die genannten Pflichten gerade auch seinen Schutz bezwecken.

Hier kommt noch hinzu, dass sich der Antragsteller darauf beruft, er wolle prüfen, ob der Schuldnerin pfändbare Schadensersatzansprüche gegen Geschäftsführer und Gesellschafter zustehen, auf die er im Falle der Zwangsvollstreckung zugreifen könnte.

Anmerkung:

Es geht letztlich um Beweissammlung für eine Schadensersatzklage gegen Gesellschafter wegen des "existenzvernichtenden Eingriffs". Mühsam müssen Gläubiger die von BGH geforderten Voraussetzungen für solche Ansprüche zusammensammeln. Das Einsichtsrecht ist hierfür ein erster und konsequenter Schritt in die richtige Richtung.

Formell sollte man seinen Antrag am besten mit dem unter dem angegebenen letzten Grund begründen:
"man wolle prüfen, ob der Schuldnerin pfändbare Schadensersatzansprüche gegen Geschäftsführer und Gesellschafter zustehen, auf die er im Falle der Zwangsvollstreckung zugreifen könnte. Jedenfalls insoweit würde es sich um Vermögen der Schuldnerin handeln."

Warum aber wird der Anspruch gegen den Gesellschafter aber nicht endlich gesetzlich und nicht so geregelt, dass bei eine Insolvenzabweisung mangels Masse, der Gesellschafter grundsätzlich immer haftet, wenn er sich nicht exkulpieren kann?

 


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