Urteilsanzeige GF

08.06.2009

BGH Az (II ZR 147/08) Link zur Originalentscheidung

Pflichtwidrige Zahlung von Arbeitsgeberbeiträgen nach Insolvenzreife

Die Zahlung von Arbeitgeberbeiträgen zur Sozialversicherung durch den Geschäftsführer ist nach der Insolvenzreife der Gesellschaft mit der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmanns nicht vereinbar und führt zur Erstattungspflicht nach § 64 Satz 1 und 2 GmbHG. (Leitsatz BGH)

Aus dem Tatbestand:
Der Kläger ist Insolvenzverwalter der H. Bedachungen GmbH (im Folgenden: Schuldnerin). Der Beklagte war alleiniger Gesellschafter und Geschäftsführer der Schuldnerin, die seit Ende 2003 durchgehend überschuldet war. Zwischen Juni und August 2005 veräußerte der Beklagte Gegenstände aus dem Anlage- und Umlaufvermögen der Schuldnerin für insgesamt 34.872,96 €. Aus den Verkaufserlösen zahlte er 27.935,87 € an verschiedene Gläubiger, davon 16.819,82 € an Sozialversicherungsträger. Der Kläger hat behauptet, auch mit dem restlichen Verkaufserlös von 6.937,09 € habe der Beklagte Gläubiger der Schuldnerin befriedigt.

Aus den Entscheidungsgründen:
1. Die Auffassung des Berufungsgerichts, die Zahlung von Beiträgen zur Sozialversicherung, auch der Arbeitgeberbeiträge, nach Insolvenzreife sei mit der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmanns vereinbar, ist von Rechtsirrtum geprägt.

Der Geschäftsführer einer GmbH ist nach § 64 Abs. 2 Satz 1 und 2 GmbHG a.F. (= § 64 Satz 1 und 2 GmbHG n.F.) zum Ersatz von Zahlungen verpflichtet, die nach Eintritt der Insolvenzreife der Gesellschaft geleistet werden, wenn die Zahlungen nicht auch nach diesem Zeitpunkt mit der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmanns vereinbar sind.

Die Zahlung der Arbeitgeberbeiträge zur Sozialversicherung nach Insolvenzreife ist im Gegensatz zur Zahlung der Arbeitnehmerbeiträge mit der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmanns nicht vereinbar.

§ 266 a Abs. 1 StGB stellt nur das Vorenthalten der Arbeitnehmerbeiträge zur Sozialversicherung, nicht auch der Arbeitgeberbeiträge unter Strafe.

Zahlungen der Arbeitnehmerbeiträge zur Sozialversicherung sind mit der Sorgfalt eines ordentlichtsmanns vereinbar, weil einem Geschäftsführer mit Blick auf die Einheit der Rechtsordnung nicht angesonnen werden kann, fällige Leistungen an die Sozialkasse nicht zu erbringen, wenn er dadurch Gefahr liefe, strafrechtlich verfolgt zu werden.

Rechtsirrig ist auch die Annahme des Berufungsgerichts, für die Vereinbarkeit der Zahlung von Sozialversicherungsbeiträgen mit der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmanns spreche eine tatsächliche Vermutung.

Schon weil nach § 64 Abs. 2 Satz 2 GmbHG a.F. (= § 64 Satz 2 GmbHG n.F.) vermutet wird, dass der Geschäftsführer Zahlungen nicht mit der erforderlichen Sorgfalt geleistet hat, ist kein Raum für eine gegenteilige tatsächliche Vermutung.

Auch für eine Vermutung, dass Zahlungen an Sozialversicherungsträger auf Arbeitnehmerbeiträge geleistet werden, besteht keine Grundlage. § 4 der Verordnung über die Berechnung, Zahlung, Weiterleitung, Abrechnung und Prüfung des Gesamtsozialversicherungsbeitrages - Beitragsverfahrensverordnung (BVV) - trifft eine Bestimmung über die Reihenfolge der Tilgung bei Teilzahlungen des amtsozialversicherungsbeitrages. Arbeitnehmeranteile werden nur dann vorrangig getilgt, wenn der Arbeitgeber eine Tilgungsbestimmung trifft.
Eine konkludente Tilgungsbestimmung setzt voraus, dass sie greifbar in Erscheinung getreten ist, und kann nicht vermutet werden.

2. Von Rechtsfehlern beeinflusst ist auch die Abweisung der Klage in Höhe von 6.937,09 €. Das Berufungsgericht hat die Anforderungen an die Substantiierung des Vortrags des Klägers überspannt, weil es Angaben verlangt hat, auf welche konkreten Zahlungen der Anspruch in Höhe von 6.937,09 € gestützt sein soll.

Der Insolvenzverwalter muss nach § 64 Abs. 2 Satz 1 GmbHG a.F. (= § 64 Satz 1 GmbHG n.F.) nur darlegen und ggf. beweisen, dass ein Geschäftsführer Zahlungen nach Insolvenzreife veranlasst hat.

Diese Anforderungen hat der Kläger erfüllt. Der Kläger hat vorgetragen, dass der Beklagte nach Feststellung der Überschuldung als Geschäftsführer der Schuldnerin aus den Verkaufserlösen für das Anlage- und Umlaufvermögen 6.937,09 € an Gläubiger gezahlt hat.

Da der Beklagte nicht bestritten hat, dass er mit diesem Teil des Erlöses aus dem Verkauf des Anlage- und Umlaufvermögens Zahlungen an Gläubiger geleistet hat, musste der Kläger weder nähere Einzelheiten vortragen noch einzelne Zahlungen nachweisen.

1. Soweit Zahlungen an Sozialversicherungsträger betroffen sind (16.819,82 €), ist die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an einen anderen Senat des Berufungsgerichts zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 ZPO). Insoweit ist die Sache noch nicht zur Endentscheidung reif. Der Beklagte hat behauptet, sämtliche Zahlungen an den Sozialversicherungsträger seien Zahlungen auf die Arbeitnehmerbeiträge gewesen. Das Berufungsgericht hat dazu - von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig - keine Feststellungen getroffen.

2. Dagegen kann der Senat hinsichtlich des Anspruchs in Höhe von 6.937,09 € in der Sache selbst entscheiden, weil die Sache zur Endentscheidung reif ist (§ 563 Abs. 3 ZPO).

Der Beklagte leistete die Zahlungen an Gläubiger nach Insolvenzreife.

Die Feststellung des Berufungsgerichts, dass die Schuldnerin zum Zeitpunkt des Verkaufs des Anlage- und Umlaufvermögens, mit dessen Erlös der Beklagte die Zahlungen geleistet hat, bereits seit langem überschuldet war, ist in der Revisionsinstanz nicht mehr angegriffen und der Entscheidung zugrunde zu legen.

Den Beklagten trifft ein Verschulden.

Es entlastet ihn nicht, dass er mit dem Verkaufserlös laufende Verbindlichkeiten der Gesellschaft getilgt hat.

Nach Insolvenzreife ist dem Geschäftsführer die Tilgung fälliger Verbindlichkeiten grundsätzlich verboten (§ 64 Abs. 2 Satz 1 GmbHG a.F. = § 64 Satz 1 GmbHG), um Masseverkürzungen im Vorfeld des Insolvenzverfahrens zu verhindern.

Nur ausnahmsweise ist eine die Masse schmälernde Zahlung mit der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmanns vereinbar.

Darlegungs- und beweispflichtig für das Vorliegen einer Ausnahme ist der Geschäftsführer. Dass die Zahlungen der Abwendung von größeren Nachteilen für die Masse dienten oder der Beklagte strafbewehrte bzw. steuerliche Verbindlichkeiten tilgte, ist nicht behauptet.

Anmerkung:

"Es war einmal ein Insolvenzverwalter" oder "Gehste mit; biste Hin" - die grundsätzliche Tendenz, Geschäftsführer in die persönliche Haftung zu nehmen ist nicht zu übersehen. Hierbei wird es dem Insolvenzverwalter mit der Anspruchsbegründung wohl doch recht leicht gemacht.

In der Praxis kann eine sorgfältige Beratung aufgrund der regelmäßig nur sehr beschränkten Tatbestandskenntnis wohl kaum sorgältig erfolgen. Der Geschäftsführer in der Krise sollte die Insolvenzantragspflicht jedoch sehr ernst nehmen.

Die Differenzierung zwischen der Nicht-Zahlung von Arbeitnehmerbeiträgen (strafbar) und Arbeitgeberbeiträgen (straflos und eine persönliche Haftung des Geschäftsführers begründend) wirkt gekünstelt ("mit Blick auf die Einheit der Rechtsordnung") und ist einem Nicht-Juristen kaum zu vermitteln.

 


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