Urteilsanzeige InsR, GF, GmbH

25.01.2011

BGH Az (II ZR 196/09) Link zur Originalentscheidung

keine Haftung des Geschäftsführers bei Zahlung von USt und Lohnsteuern nach Insolvenzreife

Der Geschäftsführer haftet nicht nach § 64 Satz 1 GmbHG, wenn er nach Eintritt der Insolvenzreife rückständige Umsatz- und Lohnsteuern an das Finanzamt und rückständige Arbeitnehmeranteile zur Sozialversicherung an die Einzugsstelle zahlt. (Leitsatz BGH)

Der Beklagte war Geschäftsführer der I.Bauingenieurgesellschaft mbH (im Folgenden: Schuldnerin), über deren Vermögen aufgrund eines Antrags vom 25. Januar 2006 das Insolvenzverfahren eröffnet wurde. Der Kläger ist der Insolvenzverwalter. Er verlangt von dem Beklagten zwei Zahlungen ersetzt, die dieser am 21. und 25. Oktober 2005 zu Lasten des Gesellschaftsvermögens an das Finanzamt D. und die AOK H. geleistet hat. Der Kläger hat behauptet, die Schuldnerin sei zum Zeitpunkt der Zahlungen bereits überschuldet gewesen. Die Zahlung an die AOK in Höhe von 51.640,24 € diente der Begleichung von rückständigen Sozialversicherungsbeiträgen. Davon zahlte die AOK aufgrund einer Anfechtung des Klägers 27.817,56 € zurück. Der Restbetrag in Höhe von 23.822,68 € und die an das Finanzamt gezahlte Umsatzsteuer in Höhe von 51.371,19 € sind Gegenstand der Klage.

Entscheidungsgründe:

Zu Recht hat das Berufungsgericht allerdings die Klage abgewiesen, soweit sie auf Ersatz der Zahlung an das Finanzamt in Höhe von 51.371,19 € gerichtet ist. Insoweit hat der Kläger keinen Anspruch aus § 64 Satz 1 GmbHG gegen den Beklagten. Denn diese Zahlung war mit der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftleiters vereinbar i.S. des § 64 Satz 2 GmbHG.

Wenn der Geschäftsführer einer GmbH - auch nach Eintritt der Insolvenzreife - fällige Umsatzsteuer und Umsatzsteuervorauszahlungen, ebenso wie einbehaltene Lohnsteuer, nicht an das Finanzamt abführt, begeht er eine mit einer Geldbuße bedrohte Ordnungswidrigkeit nach § 26b UStG oder § 380 AO i.V.m. § 41a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2,§ 38 Abs. 3 Satz 1 EStG und setzt sich außerdem der persönlichen Haftung gemäß §§ 69, 34 Abs. 1 AO aus. Die dadurch bewirkte Pflichtenkollision hat den Senat bewogen, die Zahlung von Umsatz- oder Lohnsteuer als mit der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmanns vereinbar anzusehen.

Diese Rechtsprechung bezieht sich - wie das Berufungsgericht zutreffend erkannt hat - nicht nur auf laufende, erst nach Eintritt der Insolvenzreife fällig werdende Steuerforderungen, sondern auch auf Steuerrückstände. Zwar erfüllt der Geschäftsführer schon mit der Nichtabführung der laufenden Steuer den Tatbestand der Ordnungswidrigkeit und macht sich persönlich ersatzpflichtig. Dennoch besteht der Interessenkonflikt zwischen der Befolgung der Massesicherungspflicht aus § 64 Satz 1 GmbHG und der Erfüllung der steuerlichen
Abführungspflicht fort. Zum einen ist die freiwillige Nachzahlung der Steuer ein Umstand, der bei der Verhängung und Bemessung der Geldbuße jedenfalls nach § 17 Abs. 3, 4 OWiG, § 377 Abs. 2 AO zugunsten des Geschäftsführers zu berücksichtigen ist. Zum anderen entfällt mit der Nachzahlung auch die persönliche Haftung des Geschäftsführers nach §§ 69, 34 Abs. 1 AO. Bei dieser Sach- und Rechtslage kann es dem Geschäftsführer nicht zugemutet werden, wegen des Zahlungsverbots aus § 64 Satz 1 GmbHG auf die Möglichkeit zu verzichten, die Voraussetzungen für eine Einstellung des Ordnungswidrigkeitsverfahrens nach § 47 OWiG oder jedenfalls für die Verhängung einer geringeren Geldbuße zu schaffen und sich von der persönlichen Haftung für die Steuerschuld zu befreien.

Entgegen der Auffassung der Revision kann diese Fallgestaltung nicht damit verglichen werden, dass einem Vertretungsorgan eine bereits abgeschlossene unerlaubte Handlung zur Last fällt und es nun versucht, durch Zahlung aus dem Gesellschaftsvermögen den Schaden wiedergutzumachen. Die Nichtabführung der Steuer ist ein Dauerdelikt, das bei Fälligkeit zwar vollendet, aber erst bei Erlöschen der Abführungspflicht beendet ist. Daher geht es bei der nachträglichen Abführung der Steuer nicht nur um Schadenswiedergutmachung, sondern um die Erfüllung der mit einer Geldbuße bewehrten Pflicht.

2. Die Abweisung der Klage ist aber von den bisherigen Feststellungen des Berufungsgerichts nicht gedeckt, soweit sie auf Erstattung der an die AOK gezahlten und nicht zurückgezahlten 23.822,68 € gerichtet ist.

Das Berufungsgericht hat nicht festgestellt, ob es sich bei den vom Beklagten gezahlten Sozialversicherungsbeiträgen um Arbeitnehmer- oder Arbeitgeberanteile gehandelt hat. Waren es Arbeitnehmeranteile, ist die Klage auch insoweit unbegründet. Waren es dagegen Arbeitgeberanteile, ist der Beklagte nach § 64 Satz 1 GmbHG zur Erstattung verpflichtet.

a) Nach der neueren Rechtsprechung des Senats handelt ein Geschäftsführer einer GmbH grundsätzlich mitder Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmanns i.S. des § 64 Satz 2 GmbHG und haftet deshalb nicht nach § 64 Satz 1 GmbHG, wenn er nach Eintritt der Insolvenzreife fällige Arbeitnehmeranteile zur Sozialversicherung an die zuständige Einzugsstelle zahlt. Denn es kann ihm mit Blick auf die Einheit der Rechtsordnung nicht angesonnen werden, diese Zahlung im Interesse einer gleichmäßigen und ranggerechten Befriedigung der Gesellschaftsgläubiger in einem nachfolgenden Insolvenzverfahren zu unterlassen und sich dadurch nach § 266a Abs. 1, § 14 Abs. 1 Nr. 1 StGB strafbar und nach § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 266a StGB schadensersatzpflichtig zu machen. Insoweit gelten die gleichen Erwägungen wie zu den Steuerforderungen.

Das gilt auch für die Frage, ob von der Privilegierung nur die laufenden, erst nach Eintritt der Insolvenzreife fällig werdenden Arbeitnehmerbeiträge oder auch die Beitragsrückstände erfasst werden. Das Berufungsgericht hat zu Recht angenommen, dass der Geschäftsführer auch die Rückstände zahlen kann, ohne sich der Haftung aus § 64 Satz 1 GmbHG auszusetzen. Es kann dem Geschäftsführer nicht zugemutet werden, wegen des Zahlungsverbots aus § 64 Satz 1 GmbHG auf die Möglichkeit zu verzichten, sich Straffreiheit nach § 266a Abs. 6 Satz 1, 2 StGB oder jedenfalls eine Strafmilderung nach § 46 Abs. 2 Satz 2 a.E. StGB oder eine Einstellung des Ermittlungsverfahrens wegen Geringfügigkeit nach §§ 153, 153a StPO zu verdienen und sich von dem Schadensersatzanspruch aus § 823 Abs. 2 BGB zu befreien.

b) Das Berufungsgericht hat aber nicht beachtet, dass eine Zahlung an die Einzugsstelle der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmanns widerspricht, wenn sie zur Tilgung von Arbeitgeberanteilen zur Sozialversicherung geleistet wird. Denn nur das Vorenthalten von Arbeitnehmerbeiträgen ist in § 266a StGB unter Strafe gestellt undbegründet eine Schadensersatzpflicht nach § 823 Abs. 2 BGB. Hinsichtlich der Arbeitgeberanteile fehlt es deshalb an einem Interessenkonflikt und damit an einem Grund, den Anwendungsbereich des Zahlungsverbots aus § 64 Satz 1 GmbHG einzuschränken.

III. Danach ist das Berufungsurteil insoweit aufzuheben, als der Anspruch auf Erstattung der Zahlung an die AOK abgewiesen worden ist.

Für die wiedereröffnete mündliche Verhandlung weist der Senat auf Folgendes hin:

1. Das Berufungsgericht wird festzustellen haben, ob die Zahlung an die AOK Arbeitnehmer- oder Arbeitgeberanteile betroffen hat. Eine Vermutung für Arbeitnehmeranteile besteht nicht. Die Tilgungsreihenfolge richtet sich vielmehr nach § 4 der Verordnung über die Berechnung, Zahlung, Weiterleitung, Abrechnung und Prüfung des Gesamtsozialversicherungsbeitrages - Beitragsverfahrensverordnung (BVV).

2. Gegebenenfalls wird das Berufungsgericht der Frage nachzugehen haben, ob die Zahlung an die AOK deshalb nicht zu einem Ersatzanspruch nach § 64 Satz 1 GmbHG geführt hat, weil sie dem debitorisch geführten Geschäftskonto der Schuldnerin belastet worden ist. Damit könnte insoweit ein bloßer - haftungsrechtlich unschädlicher - Gläubigertausch vorliegen.

Von einem Gläubigertausch in diesem Sinne ist grundsätzlich dann auszugehen, wenn - wie hier - aus einem debitorisch geführten Bankkonto eine Gesellschaftsschuld beglichen wird. Dann wird lediglich der befriedigte Gläubiger durch die Bank als Gläubigerin ersetzt, ohne dass die Insolvenzmasse geschmälert würde und die gleichmäßige Verteilung der Masse unter den übrigen Gläubigern beeinträchtigt wäre. Das gilt aber nur, wenn die Bank nicht über freie Sicherheiten verfügt, die sie zueiner abgesonderten Befriedigung nach §§ 50 f. InsO berechtigen. Denn dann wird die Gemeinschaft der Gläubiger durch die Zahlung insoweit geschädigt, als zur gleichmäßigen Verteilung nur noch eine geringere Vermögensmasse zur Verfügung steht.

Das Berufungsgericht hat zu den im Hinblick auf den Debetsaldo bestehenden freien Sicherheiten der Bank keine Feststellungen getroffen. Es hat zwar im Zusammenhang mit dem Hilfsbegehren des Klägers ausgeführt, es seien keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass die Globalzession den Debetsaldo des Geschäftskontos "weit überstiegen" habe. Das kann sich aber nur auf die Grenze beziehen, ab der eine ursprüngliche Übersicherung zur Nichtigkeit der Sicherungsabtretung nach § 138 Abs.1 BGB führt. Diese Grenze ist erst bei einem auffälligen Missverhältnis zwischen dem realisierbaren Wert der Sicherheit und der gesicherten Forderung erreicht. Im vorliegenden Zusammenhang geht es dagegen um die Frage, in welchem Umfang die Globalzession werthaltig war. Wenn die Bank schon vor der Überweisung an die AOK ihre Forderungen gegen die Schuldnerin aus der Globalzession und den ihr eingeräumten sonstigen Sicherheiten nicht decken konnte, hätte die Zahlung keinen Einfluss auf die zur gleichmäßigen Befriedigung aller Gläubiger zur Verfügung stehende Masse gehabt. In diesem Fall würde eine Ersatzpflicht aus § 64 Satz 1 GmbHG ohne Rücksicht darauf entfallen, ob es sich bei der Zahlung der AOK um Arbeitgeber- oder Arbeitnehmeranteile gehandelt hat.

3. Von Bedeutung für den Ausgang des Rechtsstreits kann auch sein, ob die Zahlung an die AOK aufgrund einer Kontopfändung erfolgt ist. Sollte das zutreffen, würde der Beklagte nicht aus § 64 Satz 1 GmbHG haften, weil er die Zahlung nicht veranlasst hätte. Das Berufungsgericht, das dazu keine Feststellungen getroffen hat, wird der Frage im Hinblick auf den vorgetragenen Pfändungs- und Überweisungsbeschluss vom 19. Oktober 2005 gegebenenfalls nachzugehen haben.

4. Gegebenenfalls wird festzustellen sein, ob die Schuldnerin zum Zeitpunkt der Zahlung am 25. Oktober 2005 insolvenzreif war. Ob die Zahlung den Zeitraum der Insolvenzantragsfrist betraf, ist dagegen unerheblich. Während der Insolvenzantragsfrist besteht zwar ein Rechtfertigungsgrund für den Geschäftsführer, der die Arbeitnehmeranteile zur Sozialversicherung nicht abführt. Dadurch wird aber nach Ablauf der Insolvenzantragsfrist der Interessenkonflikt für den Geschäftsführer nicht ausgeschlossen. Denn der Rechtfertigungsgrund entfällt rückwirkend, wenn der Geschäftsführer den Insolvenzantrag nicht fristgerecht stellt.

5. Schließlich wird gegebenenfalls zu beachten sein, dass dem Beklagten, wenn er aus § 64 Satz 1 GmbHG haften sollte, in dem Urteil vorzubehalten ist, nach Erstattung an die Masse seine Rechte gegen den Insolvenzverwalter zu verfolgen; dabei deckt sich der ihm zustehende Anspruch nach Rang und Höhe mit dem Betrag, den der begünstigte Gesellschaftsgläubiger im Insolvenzverfahren erhalten hätte.

Anmerkung:

 


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